Im Wiener Werk X ersteht die "Proletenpassion" wieder auf.

Foto: Yasmina Haddad

Wien - Als vor knapp 40 Jahren die Proletenpassion in die Welt kam, war diese eine andere. Das Wort Zukunft hatte zum Beispiel einen positiven Beigeschmack. Es war nicht von Angst behaftet. Protestbewegungen waren noch nicht über Wutbürgertum und Pegida rechts konnotiert, sondern trotz aller internen Grabenkämpfe gewöhnlich links ausgerichtet. Auch politische Kunst wurde noch im Brustton der Überzeugung gänzlich unironisch praktiziert: "International-e Soli-dari-tät!" Da ging noch was, da sollte noch was kommen. Bessere Zeiten. Trotz der frühen Einsicht: Wir haben keine Chance. Nutzen wir sie trotzdem.

Autor Heinz R. Unger und die Band Schmetterlinge stellten die Proletenpassion 1976 im Rahmen der Wiener Festwochen vor. Sie wurde im deutschen Sprachraum jahrelang zum Publikumsrenner. Während insgesamt 65 Stücken zwischen Brecht/Weill'scher Sperrigkeit, Pop im weitesten Sinn und guten alten Arbeiterkampfliedern sollte sich nicht nur eine Seligkeit einstellen, die Heinrich Heine einst so formulierte: "Der Knecht singt gern ein Freiheitslied des Abends in der Schänke. Das stärket die Verdauungskraft und würzet die Getränke." Verhandelt wurde mittels einer kommentierenden Bestandsaufnahme auch Geschichte von unten.

Angesichts der herkömmlichen Geschichtsschreibung, die traditionell als jene der herrschenden Klasse verstanden wurde und wird, wechselte man damals mit der Proletenpassion die Seiten. Geschichte von unten, Historie aus der Sicht der Unterdrückten, Beherrschten, Entrechteten darzustellen, das war die Aufgabenstellung der Akteure.

Die heute gut googelbare Geschichte der Klassenkämpfe abseits von kurz in Social Media aufpoppenden Facebook-Kampfgruppen mit Like-Buttons und Profilbildwechseln zu "Ich bin Charlie", Gezi-Park, Syrien, Arabischem Frühling oder Knutschen im Kaffeehaus: Genossen, damals ging da noch mehr. Aktion! Leute, unternehmt etwas gegen die Zustände, die euch nicht passen!

Abgesehen davon, dass linke Gruppen aufgrund der vielen möglichen Perspektiven und politischen Ansätze immer schon dazu neigten, sich vorzeitig intern zu zerfleischen - wie es die diversen politischen Befreiungsfronten Judäas in Monthy Pythons ebenfalls aus den 1970er-Jahren stammender Realsatire Das Leben des Brian beweisen: Im Gegensatz zu heutigen, rein negativ gegen bestimmte Menschengruppen wie etwa "Ausländer", "Asylanten" oder "Sozialschmarotzer" ausgerichteten Protestbewegungen nannte "die Linke" laut Eva Jantschitsch schon immer einen sympathischen Vorzug ihr eigen. Jantschitsch im Gespräch mit dem STANDARD: "Die Pegida hat zwei Argumente, und diese sind rein negativ gegen irgendetwas gerichtet. Die Linke aber hat das Argument der Humanität."

Die Musikerin Eva Jantschitsch tritt gewöhnlich als Gustav an die Öffentlichkeit. Bekannt ist sie vor allem mit ihren beiden Alben Rettet die Wale (2004) und Verlass die Stadt (2008) geworden. Eine dritte Songsammlung zwischen subtilem und abgefeimt privat gedeutetem Polit-Pop ist seit längerem in Arbeit.

Für die ab Donnerstag im Wiener Werk X unternommene Neudeutung als Proletenpassion 2015 ff. versucht Jantschitsch, den heute mitunter etwas muffig und bieder wirkenden Liedern zwischen Bauernaufständen, Französischer Revolution, Pariser Kommune, Russischer Revolution, Weimarer Republik und Nationalsozialismus eine zeitgenössische Sicht abzugewinnen. Immerhin gibt es zwar in unserem Land jede Menge Neo-Nazis, auf der Gegenseite aber höchstens einige wenige Post-Marxisten.

Sankt Marx

In den 1970er-Jahren war das komplizierter. Kommunisten, Trotzkisten, Maoisten, überhaupt alle zwischen Wiener Haupt-Uni und damaliger Arena-Besetzung wuchernden Ismen, sorgten für eine zumindest studentische Politisierung. Im für den Abriss geplanten ehemaligen Schlachthof Sankt Marx (!!!) führten die Schmetterlinge 1976 die Proletenpassion bei den Festwochen auf.

Die Leute gingen anschließend einfach nicht mehr nach Hause. Die erste freie Wiener Kulturstätte war geboren. Heute regieren dort Hundepunks, Techno-Raves und Rockkonzerte. Auch nicht schlecht. Damals wurde dort zumindest kurz versucht, eine bessere Welt für alle zu schaffen.

Darauf kann man laut Jantschitsch zwar heute nur noch zugehen, wenn man den nötigen ironischen Abstand wahrt. Was man der jetzigen fetzigen, schwungvollen und äußerst unterhaltsamen Inszenierung Christine Eders auch jederzeit anmerkt. Dennoch glaubt Jantschitsch fest daran, auch heute noch zumindest zu einem Nachdenken über nötiges Handeln anregen zu können. Erstens könne man sich als Fatalistin sonst gleich die Kugel geben. Zweitens liege nach Jahren des entsolidarisierten Prekariats endlich wieder etwas in der Luft.

Eva Jantschitsch: "Wenn man sich in Europa umschaut, vor allem im Süden in Griechenland oder Spanien, dann merkt man, irgendwann - und zwar ziemlich bald - wird es ganz gewaltig krachen. Die Leute sind nicht länger nur noch verzweifelt, sie werden mittlerweile richtig wütend. In Österreich wird das wie gewöhnlich etwas länger dauern, aber es wird etwas kommen."

Allerdings sei zu befürchten, dass das Ganze entschieden nach rechts ausschlagen werde. Kaputthauen sei schließlich immer leichter als etwas aufbauen.

Kapitalismus, so hören wir in einer Spielszene der Proletenpassion 2015 ff., befinde sich schon immer in der Krise. In darin konstruierten wirtschaftlichen Engpässen werden Herrschaftsinstrumente geschmiedet, mit denen Unterdrückung erst möglich wird. Das sei heute so aktuell wie damals. Selbstverständlich sei es notwendig, auch weiterhin den Kampf gegen Windmühlen aufzunehmen. Die Mühlen stehen ja tatsächlich da. Bloß nicht zermahlen werden. Bloß nicht aufgeben. So gesehen ist die Proletenpassion ein brandaktuelles Stück, wie es am Theater gern heißt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 22.1.2015)